Kulturen haben mehr mit Emotionen als mit Logik zu tun. Sie sind in Menschen tief verankert und grösstenteils unsichtbar. Für Individuen kann der Umgang mit fremden Kulturen jedoch ein fruchtbarer Lernprozess sein. Man wird gezwungenermassen dazu gebracht, gewohnte Dinge zu hinterfragen. Das Reflektieren der eigenen Kultur schafft Raum für neue Perspektiven. Und genau diese Fähigkeit braucht man, um  interkulturelle Kompetenz zu entwickeln.

Interkulturelle Kompetenz macht das Geschäft erfolgreich

Dass wir nicht alle gleich „programmiert“ sind, erfahren wir nicht nur bei Begrüssungsritualen und dem Smalltalk. Wir erfahren es vor allem wenn es darum geht, zusammen zu arbeiten und zu verhandeln. Kommunikation ist grundsätzlich ein riskanter Prozess. Konfliktpotential ist stets vorhanden. Kracht es einmal, ist die Rettung bestenfalls äusserst kräfteraubend.

Hotel Mariott in New York Times Square und interkulturelle Kompetenz In wirtschaftlichen Beziehungen führt kulturbedingte Fehlkommunikation immer wieder zu peinlichen Missständen. Dies geht bis zum Abbruch von internationalen Grossprojekten. Wird das Projekt irgendwie über die Ziellinie gebracht, stellt man mit Bedauern eine satte Erhöhung der Schlussrechnung fest. Folgende Geschichte habe ich persönlich erlebt:

Unterschiedliche Auffassung von Projektmanagement

Beispiel Im Jahr 2014 finde ich mich selbst in einem IT-Projekt involviert, in dem ein Zürcher und ein New Yorker Team ein gemeinsames Datenbank-System entwickeln. Die Kommunikation ist auf beiden Seiten des Atlantiks durch Frust und Bitterkeit vergiftet. Für die Amerikaner sind die Europäer pingelig und kompliziert. Die Schweizer und die Deutschen beklagen sich ihrerseits über die Oberflächlichkeit der Amerikaner und ärgern sich darüber, dass gemeinsam gefasste Beschlüsse immer wieder in Frage gestellt werden. Meine Diagnose: beide Sichten sind durch die jeweils eigene Projektmanagement- sowie Nationalkultur verzerrt. Als die unterschiedlichen Auffassungen und Arbeitsweisen beiden Seiten klar wurden, besserte die Kommunikation deutlich. Das Projekt wurde unter knapper Einhaltung vom Gesamtbudget zeitgerecht abgeschlossen, jedoch auf Kosten einiger Aktivitäten, die gestrichen wurden um den Projektaufwand zu reduzieren. Somit konnte man das Gesicht wahren und das Endergebnis als Erfolg verkaufen. Wäre die Konfliktbeilegung nicht früh genug erfolgt, wetten wir, dass auch die Trickkiste nicht mehr geholfen hätte.

Realität versus Interpretation

Das Verhalten von anderen Menschen zu verstehen und zu akzeptieren ist ein komplexes Unterfangen. Tatsächlich nehmen wir irgendwie andere wahr und interpretieren ihr Verhalten. Alles was wir mit unseren Sinnen aufnehmen, interpretieren wir. Die Natur hat unser Gehirn so konzipiert, dass es hinter allen Bildern, Tönen und Situationen, mit denen wir konfrontiert sind, einen Sinn sucht. Stimmt das Verhalten anderer mit unseren Normen und Werten überein, ist alles ok. Ist dies nicht der Fall, stellt uns die Unstimmigkeit vor einem Problem.  Mit der Bildung von Urteilen bzw. Vorurteilen versuchen wir das Problem zu lösen. Zum Beispiel, dass eine arabische Frau es ablehnt, einem Mann die Hand zu schütteln, mag Europäer schockieren. Europäer würden in Japan auch kaum bei der Begrüssung rangabhängig die Verbeugung mit variablen Winkeln praktizieren.

Was ist besser: Individualismus oder Kollektivismus?

Amerikaner lieben es, vorne auf der Bühne zu sein und konkurrieren gerne um allmögliche Belohnungen („Mitarbeiter des Monats“, „…des Jahres“, etc.). interkulturelle Kompetenz im Austausch mit Japaner Menschen aus ostasiatischen Kulturen zeigen sich stets bescheiden und zurückhaltend. Anders als im Westen befehlt ihre Kultur den Individuen, ihr Ego in den Hintergrund zu stellen und stets zu Gunsten der Gemeinschaft zu handeln. „The nail that sticks out gets hammered down“ (herausragende Nägel werden eingeschlagen) ist ein altes japanisches Sprichwort. D.h. kein Teammitglied darf sich allein profilieren wollen, sonst erntet et Ärger. In kollektivistischen Kulturen sind Individuen primär als Teil einer Gemeinschaft bedeutend. Trotzdem können Japaner als Individuen miteinander konkurrieren. Aber nicht als Individualisten, sondern mit einem grösseren Teamgeist. Wer sich ganz in den Dienst seines Teams stellt, schneidet in der Leistungsbeurteilung besser als diejenige, die es nicht tun.

Was gilt als interkulturelle Kompetenz?

Unterschiedliche Auffassungen von Werten und entsprechende Verhaltensmuster können sowohl eine Gefahr als auch eine Chance sein. Dies hängt davon ab, wie man mit den Unterschieden umgeht. Begegnet jedes Mitglied eines internationalen Projektteams alle anwesenden Kulturen mit Offenheit und Respekt, gedeiht die Interaktion im Team auf einem fruchtbaren Boden.

In der Diversität versteckt sich ein grosses Synergie-Potential, das in Mehrwert umgemünzt werden kann. Dafür sind auf individueller Ebene folgende Fähigkeiten gefragt:

  • Sich mit anderen Kulturen positiv auseinander zu setzen
  • Das Anderssein zu respektieren
  • Situativ und kulturadäquat zu handeln

Interkulturelle Kompetenz setzt voraus, dass man sich mit der eigenen Kultur im Klaren ist. Welche sind meine Werte? Welche Kulturen haben mich in meinem bisherigen Leben geprägt? Dank solcher Fragen kann man die eigenen Motive beleuchten, d.h.wie und woher sind meine Werte, meine Prinzipien oder meine Glaubenssätze entstanden?

Es gelten mehr als eine Denkweise

Interkulturell kompetent zu sein bedeutet aber niemals, die eigenen Werte zu verneinen und sich mit anderen 1:1 zu identifizieren. Respekt gehört auch der eigenen Kultur. Wie schafft man denn den Spagat zwischen zwei unterschiedlichen Kulturen? Zwischen Werten, die sich widersprechen? In manchen Situationen kommt man nicht drum herum, eine Balance zu suchen, die es erlaubt, beiden Kulturen gerecht zu werden. Folgende zwei Beispiele sollen dieses Vorgehen illustrieren:

Konformität versus Solidarität

Die Chinesen praktizieren seit der konfuzianischen Zeit den Guanxi, wobei jedes Individuum in einem Beziehungsnetzwerk eingebunden sein sollte. Innerhalb des Netzwerkes sollen die Mitglieder bei Bedarf Unterstützung finden, was wiederum zu Gegenleistungen verpflichtet. Bekannte bevorzugt zu behandeln ist demnach legitim. Dieser Grundpfeiler der Lehre Konfuzius’ prägt immer noch die chinesische Gesellschaft. Somit können Chinesen von Bekannten erwarten, bevorzugt behandelt zu werden. Interkulturelle Kompetenz In Shanghai Gewährt ein Manager einem Jungen eine Arbeitsstelle nur aufgrund der Beziehung mit seinem Vater, hat dies in China nichts Unmoralisches. Von Deutschen und Schweizern werden solche Erwartungen als unfaire Gefälligkeiten abgestempelt, weil sie gegen das Prinzip der Chancengleichheit verstossen. Dem erwarteten Dienst nicht Folge zu leisten gilt für Chinesen hingegen als Verrat und ist Grund genug, die Beziehung abzubrechen. Über solche Erwartungen Bescheid  zu wissen ist auch interkulturelle Kompetenz.

Effektivität versus Wertschätzung

Die Deutschen pflegen meistens die direkte Kommunikation. Dieser Stil zielt darauf ab, die Kommunikation ehrlich, zielgerichtet und effizient zu gestalten. Im Orient fokussieren Gespräche auf der Bewahrung von Harmonie unter den Gesprächspartnern. Menschen aus den arabischen und fernöstlichen Kulturen erleben schon ein „Nein“ als Gesichtsverlust. Dort wird ein „Nein“ eher indirekt durch vage Kommentare oder durch Schweigen angedeutet. Direkte, von Negativität geprägte Kommentare im Sinne von „ich sage was ich denke“ wirken sich im Fernost teilweise verheerend aus und führen nicht selten zum Abbruch der Kommunikation und der Zusammenarbeit.

Auswählen, hierarchisieren und eliminieren

Es sind diese Fähigkeiten, die z.B. Anhängern eines direkten Kommunikationsstils erlauben, die Balance zwischen Effektivität und Wertschätzung oder zwischen Konformität und Solidarität zu bilden. Das ist auch interkulturelle Kompetenz.

Autor Noureddine Yous, intermedio über interkulturelle Kompetenz

Autor Noureddine Yous, intermedio

Das westliche Gedankengut beruht auf Gegensätze. Auf „entweder – oder“. Die Rationalität unseres Denkens zwingt uns stets zu wählen, zu hierarchisieren oder zu eliminieren. In Problemsituationen müssen wir auf eindeutige Ergebnisse kommen. Fernöstliche Kulturen basieren hingegen auf das „Sowohl als auch“-Prinzip. Zu dieser Denkweise gehört die Zweideutigkeit, die Europäer als störend bzw. inakzeptabel empfinden. Im Gegenteil dazu, eine gesunde Portion Toleranz wirkt in solchen Situationen integrativ und lässt viele Türen offen.

Fazit

Welche Denkweise die beste ist, ist nicht die Frage. Wichtiger ist, ob wir die Fähigkeit haben, uns im Umgang mit anderen Kulturen zu Recht zu finden. Das ist interkulturelle Kompetenz. Der Nutzen der interkulturellen Kompetenz ist sowohl für Individuen als für Teams deutlich. Eine Kulturanalyse macht Unterschiede in der Grundeinstellung und im Kommunikationsstil der jeweiligen Teammitglieder transparent. Eine offene Besprechung darüber im Team fördert die Integration und beugt potentiellen Konflikten vor. Basierend auf den gewonnenen Erkenntnissen, können Linienvorgesetzte und Projektleiter aus den unterschiedlichen kulturbasierten Eigenschaften Synergien nutzen.

Interkulturelle Zusammenarbeit bringt sowohl Risiken als auch Chancen mit sich. Das Entwickeln von interkultureller Kompetenz erlaubt es innerhalb einer multikulturellen Organisation Konflikte zu vermeiden und gleichzeitig die Produktivität zu steigern. Für den Einzelnen bedeutet der Erwerb dieser Fähigkeit einen grossen Sprung in der Persönlichkeitsentwicklung. Führungskräfte, die es schaffen, haben dann einen höheren Level von Leadership erreicht.

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