In Japan leben fast die Hälfte der jungen Männer und Frauen jungfräulich (Japan Times, Sept. 2016). Schuld an dem fehlenden Liebesleben seien die Arbeit und die Regierung. In Angesichts dessen, dass die japanische Bevölkerung weltweit am schnellsten veraltet, ist dies keine gute Nachricht für die nächsten Generationen. Allerdings bleibt die Regierung nicht untätig und verfolgt mit dem Projekt „Super Smart Society“ ehrgeizige Pläne. Die Frage ist, verbessert sich dadurch das Liebesleben in Japan ?  

Unattraktives Liebesleben

„Die Regierung muss mehr tun“. Das sagt Aoyama, eine ehemalige japanische Domina, die nun ihre Dienste als Sex- und Beziehungsberaterin anbietet. 45% der japanischen Frauen zwischen 16 und 24 sind nicht an sexuellen Kontakten interessiert. Über ein Viertel aller Männer sind ähnlich eingestellt. Diese Zahlen wurden in einem Artikel von der Japan Times (Sept. 2017) rapportiert. Es geht so weiter: 61% aller unverheirateter Männer und 49% aller Frauen zwischen 18 und 34 haben noch nie eine romantische Beziehung gehabt. Das stellt eine Erhöhung von fast 10% in den letzten 5 Jahren dar. Die Ehe sei in Japan ein unattraktives Minenfeld geworden. Japanische Männer sind weniger von Karriere getrieben und weniger solvent geworden, seit es den lebenslangen Arbeitsplatz nicht mehr gibt. Japanische Frauen sind unabhängiger und ehrgeiziger geworden. Japanische Männer feiern den Gion Matsuri in Kyoto Und doch verharren die konservativen Haltungen zu Hause und am Arbeitsplatz. Die japanischen Firmen machen es ihrerseits für Frauen fast unmöglich, Karriere und Familie zu vereinen.

Was Männer und Frauen dazu sagen

Ein erfülltes Liebesleben bedeutet auch Kinder. Kinder sind aber unerschwinglich. Tomita hat manchmal One-Night-Stands mit Männern, die sie in Bars trifft. Sie sagt, der Sex hat für mich keine Priorität. “Ich werde oft von verheirateten Männern im Büro gefragt, die eine Affäre mit mir wollen. Sie nehmen an, dass ich verzweifle, weil ich Single bin“.  Dann schneidet sie eine Grimasse und zuckt mit den Achseln.

“Das ist zu lästig” sagt Kishino, wenn man ihn fragt, warum er nicht an einer Freundin interessiert sei. “Ich verdiene kein riesiges Gehalt und will keine Dates, weil die Frauen glauben könnten, dass ich am Heiraten interessiert wäre“. Japans Medien nennen Männer wie Kishino “Pflanzenfresser” oder soshoku danshi (wortwörtlich “Grass fressende Männer”). In Anspielung an die Tierwelt, Pflanzenfresser seien passiv, während Fleischfresser aktiv sind (Wikipedia). Hat Aoyama Recht und sollte die Regierung eine Familien- und Kinder-fördernde Politik anwenden? Wahrscheinlich schon. Nirgends in der Welt sonst altert die Gesellschaft so schnell wie in Japan. Hier werden aber die Themen Sex und Familie eng miteinander verknüpft. Ehelosigkeit bedeutet automatisch Kinderlosigkeit und oft ein Leben ohne Sex. Es gibt trotzdem Dating-Plattformen wie JapanCupid.com, die gemäss eigener Werbung erfolgreich sind.

Die traditionnelle Ehe verliert an Bedeutung

„In Japan ticken die Uhren aber noch heute anders. Hier bedeutet die Abkehr von der Ehe bzw. ein unerfülltes Liebesleben, dass diese Menschen auch keine Kinder bekommen. Im Konkubinat lebende Paare sind sehr selten“. Das sagt ein Artikel der Frankfurter Allgemeine vom 29.11.2011. Auch in japanischen Ehebetten ginge es ausgesprochen freudlos zu. Eine Studie des Gesundheitsministeriums brachte Anfang dieses Jahres zutage, dass 40,8 Prozent aller befragten Ehepaare angaben, sie hätten im letzten Monat keinen Sex gehabt. Männer antworteten auf die Frage nach dem Warum, sie seien nach der langen Arbeit einfach zu müde. Paradoxerweise sieht man in der japanischen U-Bahn viele Männer in den besten Jahren ungeniert in pornografischen Comics blättern. Begrenzt sich das Liebesleben japanischer Männer nur auf Fantasien?

Die Herausforderung der japanischen Kultur

In ihrer Studie über die Ungleichheit der Geschlechter in Japan und Taiwan stellte Wei-Hin Yu fest, dass der Fortschritt in Richtung Gleichstellung in Japan trotz der Nähe der jeweiligen Kulturen langsamer ist als in Taiwan. „Die Bildungssysteme Japans und Taiwans legen beide Wert auf frühen Erfolg, weshalb die Unterstützung durch die Familie im Allgemeinen von entscheidender Bedeutung ist. Beide Familiennormen schreiben aber vor, dass lieber in die Bildung von Söhnen als in die von Töchtern investiert wird. Japanische Frauen in traditionellem Kleid. Japanisches Liebesleben in der Super Smart Society Doch während Japans System nichts unternimmt, um die sozialen und familiären Normen zu kompensieren, die die Bildungsambitionen von Mädchen behindern, tragen mehrere institutionelle Regelungen und Auswahlmechanismen Taiwans auf verschiedenen Bildungsniveaus dazu bei, die Chancen von Frauen zu erhöhen. Zum Beispiel mit dem Zugang zu vierjährigen Studiengängen, insbesondere in renommierter Universitäten“ ( Yu, 2009). Der Gender Inequality Index (GII) der Vereinten Nationen zeigt, dass sich Japan von einem Wert von 0,156 im Jahr 1995 auf 0,103 im Jahr 2017 bewegt. Im Vergleich beispielsweise zu Singapur, das im gleichen Zeitraum von 0,250 auf 0,067 sank, sind die Fortschritte Japans eher langsam. Die Gesellschaft 5.0 verfolgt daher ehrgeizige Ziele hinsichtlich der Verwirklichung der Gleichstellung der Geschlechter.

Die Vision einer neuen Gesellschaft

Da die Digitalisierung disruptive Veränderungen am Arbeitsplatz mit sich bringt und Regierungen unter der Führung der Vereinten Nationen darauf abzielen, die Ungleichheit der Geschlechter zu verringern, kann die Erforschung der Wechselwirkung dieser Kräfte zur Beeinflussung des Ergebnisses dieses Unterfangens allen Beteiligten zugute kommen. Auf internationaler Ebene haben viele Länder einen Rahmenplan wie die deutsche Hightech-Strategie 2020 (Industrie 4.0), die nationale Strategie Singapore Smart Nation oder die 2030 eOman Digital Strategy verabschiedet.

Was bringt die Super Smart Society den Japanern?

Die japanische Regierung setzt sich in ihrer 2030-Initiative „ Society 5.0 “ und „ Super Smart Society “ sehr ehrgeizige Ziele, da sie eine neue, menschenzentrierte Gesellschaft anstrebt. „Durch die Förderung der Entwicklung der menschlichen Ressourcen möchte die japanische Regierung eine Gesellschaft aufbauen, in der alle Bürger, einschließlich junger und älterer Menschen, Frauen und Männer, Menschen mit Behinderungen und Menschen mit hartnäckigen Krankheiten, ein erfülltes Leben führen und ihre Fähigkeiten unter Beweis stellen können. Das heißt, eine Gesellschaft, in der sich alle Bürger dynamisch engagieren“ (Fukuyama, 2018, S. 49). Japanisches Kind - die Supersmart Society soll die Geburtsrate anheben Daher: „Gemäß dieser Strategie liegt der Schlüssel zum Erreichen mittel- und langfristigen Wachstums in der Verwirklichung einer Gesellschaft 5.0,.Diese nimmt verschiedene gesellschaftliche Herausforderungen an, indem sie die Innovationen der 4. Industriellen Revolution (z. B. Big Data, künstliche Intelligenz, Robotik, usw.) in jede Branche und jedem gesellschaftlichen Bereich integriert (Fukuyama, 2018, S.48). Das tönt gut, aber wie könnte die Technologie das Liebesleben der Japaner verbessern?

Mit der Gleichstellung von Mann und Frau soll man es richten

Keidanren ist der Name des japanischen Wirtschaftsverbandes. Japanische Frauen an der Arbeit ohne Liebesleben in der Super Smart Society Keidanren zielt darauf ab, die Probleme einer „überalternden Gesellschaft und mangelnder aktiver Beteiligung von Frauen“ anzugehen und definiert die zukünftige Gesellschaft 5.0 als eine Gesellschaft, in der „jeder Einzelne, einschließlich älterer Menschen und Frauen, aktiv teilnehmen kann“. Der Prozentsatz der Frauen, die eine weiterführende Schule besuchen, ist höher als derjenige der Männer. Im Jahr 2004 war der Anteil weiblicher Hochschulabsolventen (48,5 %) fast gleich hoch wie der der Männer (51,1 %).„Allerdings ist die Beteiligung von Frauen an den politischen Entscheidungsprozessen in Japan nach wie vor gering, und der Anteil der Frauen an der Erwerbsbevölkerung sinkt während der ersten Ehe und der Geburts-/Erziehungsphase Anfang der 30er Jahre. Die Möglichkeiten für Frauen, ihre Fähigkeiten auszuschöpfen und sich umfassend in die Gesellschaft einzubringen, sind unzureichend“ (Gender Equality Bureau, 2006).

Fazit

Autor Noureddine Yous im Ryoko in den japanischen Bergen Das das Paarleben bzw. das Liebesleben der Japaner an Attraktivität verliert, stellt die japanische Gesellschaft vor enormen Herausforderungen. Die Bevölkerungsalterung ist langfristig sicherlich die grösste davon. Die Super Smart Society verspricht u.a. durch Technologie, das Leben der alten Menschen zu verbessern. Allerdings macht das die Bevölkerung nicht jünger. Der Kern der Lösung liegt in der Erhöhung der Geburtsrate. Die jüngeren Generationen sollten wieder daran interessiert sein, Kinder zu erzeugen. Dafür muss es wieder attraktiv werden, intime Beziehungen einzugehen und darin zu engagieren. Wird aber die Gleichstellung von Mann und Frau bzw. der Zugang von Frauen zu höheren beruflichen Posten die Gründung von Familien fördern oder bremsen? Das wird u.a. von einem günstigen sozialen Rahmen abhängen.

 

Autor: Noureddine Yous, intermedio

 

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