Omans Kultur zu erleben wirkt sich für Europäer entweder faszinierend oder befremdend aus. Sie lässt jedenfalls niemanden gleichgültig. Dabei kommt man nicht darum herum, die lokalen Verhaltensmuster nach eigenen kulturellen Massstäben nachzuempfinden und somit wertend zu urteilen. Das ist auch für Schweizer-Geschäftsleute ein Hindernis, das sie oft unterschätzen. Weil hier kommt die Beziehung zuerst, dann das Geschäft. Aber ist es überhaupt möglich, Menschen- und Weltbilder, die unseren gerade entgegengesetzt sind, zu verstehen?

Omans Kultur von Innen erleben

Hier scheint die Zeit seinen Lauf für immer ausgesetzt zu haben. Die Räume sind großzügig und die weißen Häuser kontrastieren nur wenig mit einem beharrlich klaren Himmel. Die Ruhe wird nur durch den monotonen Gesang des Muezzins unterbrochen, immer um die gleichen Stunden. Fünf Mal pro Tag erinnert er uns an die Allmacht Allahs. Die Männer bewegen sich ohne Hektik in ihren weissen Deschdäschas (Omani traditionelles Kleid), der Kopf sorgfältig mit einer farbigen Kumma bedeckt. Im Gegensatz dazu tragen Frauen schwarze Aābayas und eine Art offenes Hijab namens Schilä. Alle Frauen sind von Kopf bis Fuß bedeckt, nur das Gesicht ist nackt, schlicht und anspruchslos. interkulturelle Kompetenz entscheidet - Omani vor dem Sultan Palast Die Schilä versteckt ihr Haar hermetisch und die Aābaya lässt keine Kurve der weiblichen Körper erkennen. Die mit schwarzem Kajalstift umrandeten Augen  harmonisieren mit der Bekleidung. Es scheint eine Welt in Schwarz und Weiß zu sein, in der die Omanis die Quellen der Versuchung, die Menschen in der westlichen Welt immer wieder zu schwierigen Proben zwingen, scheinbar verbannt haben.

Die Kultur ist in der Sprache

Ich befinde mich in Maskat mit dem Ziel, meine Kenntnisse der hocharabischen Sprache zu perfektionieren und einen Einblick in die Omani-Kultur zu erhalten. Man kann wohl mit der Kultur anderer arabischer Länder vertraut sein, doch was hier zu sehen ist, fasziniert. Nie habe ich die Osmose eines Glaubens mit dem Alltagsleben in einer solchen Intensität gespürt. Diese Unterscheidung zwischen Islam und Leben existiert also nur in unseren Köpfen. Hier ist der Islam das Leben und das Leben der Islam. Welch glückliche Menschen, die alle Antworten auf existenzielle Fragen in einem Buch des göttlichen finden! Und selbst wenn die Antwort nicht eindeutig im Koran steht, weiss ein Mufti, sie von den heiligen Schriften abzuleiten.

Vermittler zwischen Himmel und Erde

Die Kommunikation besteht aus Interpretationen, das wissen wir im Westen auch. Aber hier ist die Interpretation Aufgabe der Gelehrten, zumindest in schwierigen Fällen. Eines meiner ersten Gespräche mit Ihlam, meiner Konversationslehrerin, bestätigt dies. Sie sagt:

– Frauen dürfen Haar und Körperteile öffentlich nicht zeigen. Das ist eine Sünde

– Eine Sünde? Ich habe den Koran gelesen und habe aber kein solches Verbot darin
gefunden

– Ja. Aber die Muftis sagen es. Sie sind diejenige, die uns den Koran zu verstehen helfen

– Wenn der Koran nichts dazu sagt, dann ist es der Mufti, der entscheidet?

– Ja, weil Muftis Gelehrte sind

– Aber du selbst hast an der Universität studiert …

– Das stimmt, aber das ist nicht genug, um den Koran ganz zu verstehen

Es scheint, dass auf dem Weg zwischen den Menschen und dem Wort des Allmächtigen, einige Männer eine besondere Macht besitzen. interkulturelle Kompetenz entscheidet - Omani Frau beim Einkauf in Maskat Mall Die katholische Kirche hat auch viele davon, denke ich. Dann frage ich weiter:

– Sind die Muftis eigentlich immer Männer?

– Ja, hauptsächlich. Es gibt ein paar Frauen, aber die meisten sind Männer

– Und diese Männer entscheiden über das Schicksal der Frauen …

Moslems konsultieren den Mufti, wenn sie mit einem schwierigen Problem konfrontiert sind. Ihlam erzählte mir die Geschichte dieser Frau, die zehn Jahre nach Ihrer Hochzeit ihrem Mann immer noch jede Minute blind gehorchte. Diese Frau behauptete, sie habe keinen Willen um ihm zu widerstehen, obwohl sie es möchte. Sie litt darunter und beschloss eines Tages, den Rat eines Muftis zu ersuchen. Der Mufti sagte ihr, dass der Mann sie verzaubert hatte. Schon vor ihrer Hochzeit. Der Weise las einige Verse aus dem Koran und der Zauber war schon aufgelöst. Unmittelbar danach reichte die Frau die Scheidung ein.

Keine Gesetze ohne Gesetzesbrecher

Hier glauben viele Menschen an Magie und Dämonen und viele, vor allem Frauen, bedienen sich der Dienste der obskuren Magier-Zunft. Die Anwendungsfelder sind vielfältig: Ob ein Geldmangel ausgeglichen werden oder eine Schwangerschaft sicher verlaufen soll, ob man sich die Liebe eines Mannes sichern oder eine Konkurrentin ausschalten will, vieles wird für möglich gehalten. Die Magier sind stets in der Lage, das Schicksal Mittels Chemie und Ritualen zugunsten ihrer Mandanten zu beeinflussen. Dies obwohl im Koran steht, dass nur Allah das Schicksal aller Menschen bestimmt. Daran sind sich alle Moslems einig. Allerdings beeilt sich Ihlam, darauf hinzuweisen, dass der Islam die Magie verbietet. Dies bedeutet, dass Magier und ihre Kunden sowie andere Sünder am Tag des jüngsten Gerichts in die Hölle verbannt werden.

Interkulturelle Kompetenz entscheidet - Omanis beim Aper Der Koran verbietet auch den Alkohol-Konsum. Tatsächlich, nur Luxus-Hotels bieten ihn an. Und genau dort trifft man wieder auf „Sünder“. Im „Sport“-Pub des Grand Hyatt zum Beispiel trifft man mit Erstaunen auf Omanis, die beim Zuschauen der Premier League (Englische Fussball-Meisterschaft) auf grossen Bildschirme oder beim Billard-Spielen Bier und Wein geniessen. Ihlam weiß das und sagt, dass dies in Maskat üblich ist. Die Männer tränken auch im Übermass. Auf dem Land sei dies seltener. Wird es bekannt, dass ein Mann Alkohol konsumiert, versucht seine Familie auf ihn einzureden, um ihn davon abzuhalten. Die Arabisch-Lehrerin erzählt diesbezüglich einen tragischen Fall, der vor Jahren in ihrem Dorf passiert ist: In einer Familie besauft sich einer von vier erwachsenen Brüder immer wieder. Seine drei Brüder treffen ihn an einem dunklen Abend draussen im Dorf und prügeln ihn zum Tode. Der „Sünder“ stirbt. Die drei Schuldigen bekommen je fünf Jahre Gefängnis.

Der Schein trügt also. Mindestens einige Omanis haben sozusagen ihre Chancen auf einen Platz im Paradies mit einer schweren Hypothek belastet. Zu Gunsten des Lebens auf Erde notabene. Das bleibt allerdings undurchsichtig und sowieso, ist dies „Déjà vu“. Überall wo Regeln bestehen, gibt es auch Regelbrecher.

Ein Islam des Friedens und der Toleranz

Was man im Oman meistens sieht und erlebt, ist eine allgegenwärtige Frömmigkeit und die stetige Gestaltung eines schlichten Lebensstils ohne Laster. Lachen scheint mindestens in der Öffentlichkeit nicht üblich zu sein, Zurückhaltung dafür schon. Frauen springen übergangslos von der Kindheit zum Gemahlin- und Mutter-Status über. Sie dürfen nicht allein ausgehen und gehorchen ihrem Vater, ihrem Mann, ihrem Bruder. Der Druck der Sitten und Normen ist enorm. Deren Vorteil ist aber, dass vieles geregelt ist. Es gibt einfach eine einzige Art, wie die Dinge sein müssen. Schwarz oder Weiss. Auch in meinem Hotelzimmer hängen alle Fotos in Schwarz-Weiss an den Wänden. Schade, denn hier erzeugt die Sonne ein weiches, warmes Licht und würde noch so gern Farben bekräftigen.

Oman ist aber nicht Saudi-Arabien. Hier lehnen sich die Gesetze ans englische Recht, nicht an die Scharia an. Die Omanis sind weder Sunniten noch Schiitten, sondern Ibaditen. Die Ibaditen, die auch in den Vereinigten Emiraten, im Irak und sogar im Maghreb vertreten sind, praktizieren einen offenen und gegenüber anderen Glaubensformen, toleranten Islam. Ibaditen sind der Meinung, dass Religion nicht für Kriege und Auseinandersetzungen missbraucht werden darf. Seif, mein Grammatiklehrer sagt, Autoren von diskriminierenden Äusserungen über jegliche Religion, sei es den Islam, das Christentum oder das Judentum, sollten mit strengen Gefängnisstrafen rechnen. Seif sagt weiter, im Oman sei der Islam eine Religion des Friedens, des Respekts und der Toleranz.

Freiheit ist immer und überall beschränkt

In ihrer traditionellen Bekleidung fährt Ihlam einen eigenen Toyota Land Cruiser. Sie ist aber keine Ausnahme unter den Frauen. Ich frage sie, ob sich die Lebensbedingungen der omanischen Frauen in den letzten Dekaden verändert haben. Sie sagt: „In der Generation meiner Mutter durften Frauen nicht arbeiten. Heute können wir an der Uni studieren, einen Beruf ausüben und ein eigenes Auto fahren“. Die Frage, in welche Richtung dieser Wertewandel sich fortsetzen wird, bleibt spannend.

Während der letzten Kursstunde fragte mich Ihlam, was mich in Maskat am meisten beeindrucke:Maskat Häuser-Architektur im typischen Omani Stil

  • Eure Kultur finde ich faszinierend, antworte ich. Dabei hat mich eine bestimmte Frage über euch Frauen ständig verfolgt…
  • Welche?
  • Der Druck der Traditionen, der auf euren Schultern lastet, scheint mir riesig zu sein. Du kommunizierst und benimmst dich jedoch frei und selbstbewusst. Seid ihr also im Gefängnis… oder fühlt ihr euch frei?
  • (Lachend) Wir Frauen sind keineswegs im Gefängnis. Innerhalb unserer Schranken fühlen wir uns frei. Das gilt aber für alle Menschen. Die Tatsache, dass wir uns an die Regeln halten, macht unser Leben harmonisch. Unser Glauben macht uns glücklich.

In die Moderne mit 4-Rad-Antrieb

Die Omanis waren bis vor ca. 40 Jahren mehrheitlich Beduinen. Viele von ihnen sind es immer noch. Die ältere Generation konnte nicht einmal in Maskat auf asphaltierte Strassen fahren. Unter der Herrschaft von Sultan Qaboos hat das omanische Volk den Sprung vom Mittelalter ins digitale Zeitalter innert weniger Dekaden geschafft. Wie die Vereinigten Emirate, ist der Oman ein attraktives Wirtschaftszentrum geworden und bietet lukrative

Zwei Omanis machen Fotos vor dem Sultan-Palast - interkulturelle Kompetenz entscheidet Investitionsmöglichkeiten an. Das Land ist politisch stabil, die Sicherheit hoch und der Lebensstandard steht dem europäischen im nichts nach. In Maskat haben manche Einfamilienhäuser die Grösse eines kleinen Schlosses, Luxuswagen sind keine Seltenheit und viele einheimische Geschäftsleute sind laufend in Meetings oder Seminaren in 5-Stern-Hotels anzutreffen.

Aber Oman ist auch nicht Dubai. Wolkenkratzer sind hier keine zu sehen. Nur weisse Häuser im arabischen Stil gebaut. Es ist ausgerechnet diese Mischung aus Moderne und Tradition, die den Oman und die Omanis so speziell macht.

Die Akzeptanz des Andersseins

Es ist eindeutig, dass die hiesige Kultur im krassen Gegensatz zu unserer europäischen, hektischen Welt steht. Zu unserer äusserst liberalen Kultur, wo der Leistungsdruck, die Einsamkeit, die Üppigkeit des Angebots, der allgegenwärtige Wettbewerb, die Werbung und der Wunsch von vielen vorne auf der Bühne zu stehen, einige Grundwerte mehr und mehr in den Schatten stellen. Arabische und westliche Kulturen sind wohl die zwei Pole von gerade entgegengesetzten Welt- und Menschenbildern. Doch beide erheben den Anspruch, die Hüter der Wahrheit zu sein.

Kulturen zu verstehen ist nicht nur eine persönliche Bereicherung, weil jede fremde Kultur zwingt, sich Fragen zu stellen, auch über die eigene Kultur. Die Akzeptanz des Andersseins erweitert nicht nur unseren Horizont, sondern hilft uns, starke Beziehungen zu entwickeln. So ist es in Oman angebracht, der Beziehung auch in einer geschäftlichen Partnerschaft im Vordergrund zu stellen und sie zur pflegen. Die Oman Switzerland Friendship Association (OSFA) z.B. setzt zumindest in ihrem Namen, die Freundschaft und nicht das Geschäft im Vordergrund. Freundschaft sollte auch so gelebt werden, dass Partner sich trotz kulturellem Graben gut verstehen. Interkulturelle Kompetenz entscheidet oder bringt auf jeden Fall einen entscheidenden Vorteil im Wettbewerb.

Autor: Noureddine Yous, intermedio Zürich

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