Laut der Erhebung 2022 der Gesundheitsförderung Schweiz geben ein Drittel der Erwerbstätigen in der Schweiz an, emotional erschöpft zu sein. Seit 2014 ist die Tendenz steigend. Für die Arbeitgeber bedeutet dieses Phänomen durch Absentismus oder schwindende Arbeitsmotivation der Betroffenen einen Verlust an Produktivität. Für die Betroffenen löst die dauerhafte psychische Belastung (Stress) einen Verlust der Motivation, Angst und häufig psychosomatische Krankheiten aus. Stress ist u.a. ein Mitverursacher von Herz-Kreislauf-Erkrankungen, welche die häufigste Todesursache in der Schweiz darstellen. Stress ist jedoch kein Unheil, dem sich jede(r) tatenlos ergeben muss, selbst unter widrigen Arbeits- oder Lebensumständen. Der MBSR-KursMit Achtsamkeit zur Resilienzvon Franziska Knechtenhofer bringt die Teilnehmenden zu neuem Leben. 

1.    Dauerhafter Stress in der Bevölkerung

Der Job-Stress-Index der Gesundheitsförderung Schweiz wird in Zusammenarbeit mit der Universität Bern und der Zürcher Hochschule für Angewandten Wissenschaften berechnet. Der Index dokumentiert seit 2014 Zahlen zu arbeitsbezogenem Stress und zu dessen Zusammenhängen mit Gesundheit und Produktivität von Erwerbstätigen in der Schweiz. Die Zahlen für 2022 zeigen zwar gegenüber 2020 einen leichten Rückgang des erlebten Stresses in der Bevölkerung. Die Bilanz sieht aber gegenüber 2014 und 2016 deutlich schlechter aus. So übersteigt z.B. der Anteil der Erwerbstätigen, die sich emotional erschöpft fühlen mit 30.3 % erstmals seit 2014 die 30%-Marke. Dazu kommt der Anteil der Erwerbstätigen, deren Job-Index sich im kritischen Bereich befindet, dieser beträgt 28.2 % [1]. Fazit ist, dass 58.5 % der Erwerbstätige in der Schweiz Stress dauerhaft erleben.

2.    Wie funktioniert Stress?

2.1. Stress und seine schützende Rolle

Wir Menschen (genauso wie Tiere) reagieren auf akute Gefahren mit einer blitzschnellen Umstellung unserer emotionalen und physiologischen Prozesse. Unser Gehirn versetzt den Körper in Alarmzustand, und zwar unabhängig Mit Achtsamkeit zur Resilienz - Stress im Körper von unserem bewussten Willen.  Eine bewusste Reaktion würde zu viel Zeit in Anspruch nehmen, um der Gefahr zu entkommen. So leitet das Gehirn die Anpassung des Körpers an die Situation ein und verstärkt die Funktionen (z.B. Herzrate, Atmung, Muskelanspannung), die es gerade benötigt. Gleichzeitig hemmt es die Funktionen (z.B. Verdauung und Verengung der Blutgefässe der Haut) herunter, die in dieser Situation weniger relevant sind. Diese Art von Stress ist normal. Sie entspricht einem uralten, biologisch lebenswichtigen Mechanismus, mit dem uns die Evolution seit Millionen von Jahren beschenkt hat.

2.2. Stress am Arbeitsplatz

Raubtieren begegnen wir heute kaum. Doch, das Programm «Fight, freeze or flight» (Kämpfe, erstarre oder fliehe), ist immer noch in unserem Gehirn tief verankert, nämlich in allen Situationen, die wir als bedrohlich erleben. Zum Beispiel, wenn wir riskieren, unseren Job zu verlieren, oder wenn unsere Grundwerte verletzt werden, oder die Stabilität unseres familiären Umfeldes in Gefahr gerät. Also allgemein, wenn wir Herausforderungen ausgestellt sind, denen wir uns nicht gewachsen fühlen. Werden solche Situationen immer wieder erlebt, etabliert sich der Stress ebenfalls als dauerhafter Zustand. Situationen, die für den Stress am Arbeitsplatz ursächlich wirken, werden in der Erhebung der Gesundheitsförderung Schweiz wie folgt kategorisiert:

  • Zeitdruck,
  • Unklarheit bezüglich Arbeitsaufgaben,
  • Arbeitsorganisatorische Probleme,
  • Qualitative Überforderung,
  • Soziale Belastungen durch die oder den Vorgesetzten und
  • Soziale Belastungen durch ArbeitskollegInnen.

2.3. Stress und Burnout

Eine mögliche Folge von dauerhaftem Stress ist Burn-out. Burn-out selbst ist keine Krankheit, sondern ein Extremzustand, der zu Depression und andere psychischen oder physischen Krankheiten Mann leidet an Burnout führen kann. Die in der Erhebung der Gesundheitsförderung Schweiz erwähnten «emotional erschöpfte» Erwerbstätigen befinden sich bereits in diesem Zustand oder stehen ihm sehr nahe. Der Körper sendet dabei Symptome als frühe Warnsignale aus, die hauptsächlich mit einem chronischen Verlust an Energie und Willen sowie Schlafmangel zusammenhängen.

Der täglich erlebte Stress-Zustand versucht man häufig mit gesundheitsschädlichem Verhalten zu kompensieren (z.B. mit erhöhtem Alkoholkonsum, übermässiges Essen bis zum Griff nach Medikamenten und Drogen). Das allerdings löst das Problem nicht, sondern macht es noch schlimmer. Somit fallen die Betroffenen in einem Teufelskreis, aus dem es je länger, je schwieriger wird zu entfliehen. Viele Menschen konsumieren regelmässig Alkohol, um dem lästigen Stressgefühl zu entgehen. Alkohol bringt zwar vorübergehend Beruhigung und Euphorie, hat aber langfristig bei regelmässigem, übermässigem Konsum verheerende Folgen auf die Gesundheit. Gemäss dem Bundesamt für Statistik ist übermässiger Alkoholkonsum eine der Hauptursachen für vorzeitige Sterblichkeit und für Beeinträchtigungen der Gesundheit.

2.4. Wenn Stress tödlich wird

Stress abbauen, mit Achtsamkeit zur Resilienz Auf der biologischen Seite lässt Dauerstress einerseits die Hormonen-Ausschüttungen permanent fliessen. Diese verursachen Bluthochdruck, erhöhte Blutfette und Blutzucker und regen die Herztätigkeit permanent an. Stress schwächt mittel- und langfristig unser Immunsystem und verändert unser Neuronen-Netzwerk im Gehirn. Die Folgen sind langfristig beängstigend. Menschen, die unter Dauerstress leiden berichten zuerst von innerer Unruhe, Schlafstörungen, Verdauungsprobleme, Angstgefühle, Gereiztheit, Lustlosigkeit, sowie chronische Kopf- und/oder Rückenschmerzen. Gewichtszunahme, Erschöpfung, Depression, Herzerkrankungen und im schlimmsten Fall Herzinfarkte sind dann die langfristigen Folgen.

Wie kommt man aus einer solchen Spirale heraus? An dieser Stelle ist festzustellen, dass Stressreaktionen individuell variabel sind. Menschen reagieren unter den gleichen Belastungssituationen unterschiedlich. Die gleiche Situation kann jemanden psychisch vernichten, während andere Menschen mit einer optimistischen bzw. kämpferischen Einstellung darauf reagieren. Stressbewältigung ist also weitgehend von unseren mentalen Ressourcen abhängig. Die wichtigste dieser Ressourcen ist unsere generelle psychische Widerstandskraft gegenüber Belastungen. Diese Widerstandskraft nennt man Resilienz. Interessanterweise konnte die moderne Wissenschaft bestätigen, was der griechische Philosoph Epiktet schon vor 2000 Jahren schrieb, nämlich dass unser Wohlbefinden weitgehend von unseren eigenen Einstellungen gesteuert wird. Es geht um die wechselseitige Beziehung von (externen) Stressoren und (individuellen) Stressreaktionen, wobei die Art der Stressreaktion möglicherweise schon während der Kindheit erlernt wurde.

3.    Die Wurzeln von Stress

3.1. Optimismus versus erlernte Hilflosigkeit

Der Psychologie-Professor und Gründer der Positiven Psychologie Martin Seligman spricht von learned optimism (erlernter Optimismus) und learned helplessness (erlernte  Hilflosigkeit), zwei unterschiedliche Grundeinstellungen von Menschen. Beide Grundeinstellungen werden i.d.R. in frühen Lebensabschnitten erworben. Erlernte Hilflosigkeit meint, dass Menschen, die widrigen Umstände nicht überwinden können oder wollen, in späteren Situationen Passivität und Verzweiflung zeigen. Solche Menschen haben keinerlei Antrieb, aus widrigen Situationen zu entkommen. Erlernte Hilflosigkeit wird durch Erfahrungen verursacht, in denen Menschen früh lernten, dass nichts, was sie tun, von Bedeutung ist und dass ihre Handlungen ihnen nie das bringen können, was sie wollen. Diese Erfahrung lehrte sie, damit zu rechnen, dass ihr Handeln auch in Zukunft und in neuen Situationen wieder sinnlos sein würde. Allerdings ist eine solche Grundeinstellung ein fruchtbarer Boden für Depressionen. Im Gegensatz dazu beruht der erlernte Optimismus auf der Überzeugung, dass widrige Umstände vorübergehend sind und dass man sie in den Griff bekommen kann.

3.2. Die Rolle der Bindung für die biologische Stressreaktion

Rolle der Bindung in Achtamkeit zur Resilienz Prof. Gert Kaluza, Psychotherapeut, Coach, Trainer und Gründer des GKM-Instituts für Gesundheitspsychologie in Marburg schreibt seinerseits: «Für individuelle Unterschiede in biologischen Stressreaktionen spielen frühkindliche Bindungserfahrungen eine entscheidende Rolle». […]. Bindung meint eine stabile, verlässliche und von Vertrauen geprägte Beziehung zwischen Kind und Bezugsperson. Eine sichere Bindung ist es, die ein Urvertrauen beim Säugling bildet. «Eine sichere Bindung des Kleinkindes zur Mutter (oder auch einer anderen Person) bewirkt einen wirksamen Schutzschild gegenüber Stress bis ins Erwachsenenalter. Und umgekehrt: Unsichere Bindungen in der frühen Kindheit führen später in Stress-Situationen zu erhöhter und verlängerter Aktivität der zweiten Stress-Achse[2], messbar z.B. an erhöhten Kortisol-Konzentration im Blut» (Kaluza, 2023). Dennoch ist selbst eine unsichere Bindung keinen Fluch für das gesamte Leben.

 

4.    Achtsamkeit als Weg zur Resilienz

4.1. Resilienz als Bereitschaft, die Dinge zu ändern

Mit Achtsamkeit zur Resilienz am Beispiel von François Cluzet

François Cluzet in der Fernsehsendung „Les rencontres du Papotin“ (Feb. 2024)

Resilienz kann trotz frühen Widrigkeiten und einem unstabilen Familienleben entwickelt werden, und zwar in jedem Lebensabschnitt. Von zentraler Bedeutung ist das Glauben daran, dass man die Dinge verändern kann. So konnte z.B. der erfolgreiche französische Schauspieler François Cluzet als achtjähriges Kind nicht verstehen, dass seine Mutter das eheliche Zuhause für immer verliess. In der Folge musste er mit seinem Vater zusammenleben, der zusehend depressiver wurde. Erst später, gab ihm die Mutter den Grund für ihren Weggang: Sie hatte sich in einem anderen Mann verliebt. François Cluzet selbst hatte als Erwachsener gegen die Depression zu kämpfen. Nichtdestotrotz machte er als Schauspieler eine blendende Karriere und gibt sich heute mit 68 Jahren als sehr glücklicher Mensch. Am vergangenen 18. Februar sagte er als Gast in einer Fernsehsendung im Dialog mit behinderten Personen:

Alles Positive, auch sehr Positive, das mir in meinem Leben widerfahren ist, ist auf meine Reaktion auf diese nicht gerade zärtliche Kindheit zurückzuführen. Ich blieb nicht in der Traurigkeit, in die ich als Kind geraten war, sondern versuchte, daraus herauszukommen (François Cluzet [2])

4.2. Mindfulness Based Stress Reduction (MBSR)

Gruppen-Meditation in einem japanischen Tempel in Nagoya In unserer schnelllebigen Welt, in der Stress für viele Menschen zum alltäglichen Begleiter geworden ist, bietet die Achtsamkeitspraxis eine wirksame Methode, um diesem Zustand entgegenzuwirken. Der MBSR-Kurs, steht im Zentrum dieser Praxis und zielt darauf ab, den Teilnehmenden zu helfen, eine tiefere Verbindung zu sich selbst herzustellen, indem sie lernen, im gegenwärtigen Moment präsent zu sein. Jon Kabat-Zinn, der den MBSR-Kurs entwickelt hat, erklärt Achtsamkeit wie folgt:

Achtsamkeit bedeutet auf eine bestimmte Weise aufmerksam zu sein: bewusst im gegenwärtigen Augenblick und ohne zu urteilen. Diese Art der Aufmerksamkeit steigert das Gewahrsein und fördert die Klarheit, sowie die Fähigkeit, die Realität des gegenwärtigen Augenblicks zu akzeptieren. Sie macht uns die Tatsache bewusst, dass unser Leben aus einer Folge von Augenblicken besteht. Wenn wir in vielen dieser Augenblicke nicht völlig gegenwärtig sind, so übersehen wir nicht nur das, was in unserem Leben am wertvollsten ist, sondern wir erkennen auch nicht den Reichtum und die Tiefe unserer Möglichkeiten zu wachsen und uns zu verändern. Achtsamkeit ist eine einfache und zugleich hochwirksame Methode, uns wieder in den Fluss des Lebens zu integrieren, uns wieder mit unserer Weisheit und Vitalität in Berührung zu bringen (Jon Kabat-Zinn).

Achtsamkeit im Rahmen von MBSR lehrt uns, bewusst unsere Gedanken, Gefühle und körperlichen Empfindungen wahrzunehmen, ohne vorschnell zu urteilen. Diese Fähigkeit ermöglicht es uns, stressige Situationen aus einer neuen Perspektive zu betrachten und darauf weniger reaktiv und reflektierter zu reagieren.

4.3. Ziele und Inhalte vom MBSR-Kurs

Ein typischer 8-wöchiger MBSR-Kurs umfasst folgende Schlüsselelemente, sagt Franziska Knechtenhofer, MBSR-Lehrerin (Mit Achtsamkeit zur Resilienz“ :

  • Einführung in Achtsamkeitsmeditation: Teilnehmende erlernen grundlegende Meditationsübungen, um ihre Aufmerksamkeit auf den gegenwärtigen Moment zu lenken.
  • Körperwahrnehmung: Durch den ‚Body Scan‘ und andere Übungen erforschen und akzeptieren Teilnehmende körperliche Empfindungen bewusst.
  • Achtsame Bewegung: Sanfte Yoga-Übungen oder andere Formen achtsamer Bewegung unterstützen die Verbindung von Körper und Geist.
  • Stressbewältigung: Der Kurs vermittelt Strategien, um stressauslösende Gedanken und Gefühle zu erkennen und gesünder damit umzugehen.
    MBSR-Lehrerin Franziska Knechtenohfer mit Achtsamkeit zur Resilienz

    Franziska Knechtenhofer, MBSR-Lehrerin, intermedio

Zudem werden Techniken zur Förderung einer achtsamen Kommunikation vermittelt, die darauf zielen, Beziehungen zu verbessern und Konflikte zu entschärfen. Besonderes Augenmerk liegt darauf, Achtsamkeit in den täglichen Routinen zu verankern, um nachhaltige Veränderungen im Umgang mit Stress zu bewirken. Gruppendiskussionen und Austausch bieten zusätzliche Perspektiven und Unterstützung.

Der MBSR-Kurs widmet sich somit nicht nur dem Stresserleben, sondern fördert auch die persönliche Entwicklung.

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Hier finden Sie die nächsten Kursdaten

Autoren: Noureddine Yous & Franziska Knechtenhofer, 27.02.2024, intermedio

[1] Anteil Erwerbstätiger mit überdurchschnittlich mehr Belastungen als Ressourcen (weniger akut als der Anteil emotional erschöpfte aber schon im Stressbereich)

[2] Spielt u.a. die Rolle des reichen Tetraplegikers Philippe im Film «Ziemlich beste Freuden“ („Intouchables“).

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